Der allgegenwärtige Stress für Tiere in Tierheimen
In jedem noch so gut geführten Tierheim sind die dortigen Tiere ziemlichem Stress ausgesetzt. Neben dem Lärm durch Hundegebell und Hundegekläffe herrscht ein ständiges Kommen und Gehen: mal wird gefüttert, mal werden Gehege und Ausläufe gereinigt, mal werden Hunde von ihren Gassigänger*innen abgeholt und wieder zurückgebracht, mal ist tierärztliche Untersuchung, mal schauen Interessierte vorbei … die Tiere kommen kaum zur Ruhe.
Ältere und kranke Hunde wie Suri und Kyrill leiden ganz besonders unter diesem allgegenwärtigen Stress. Bereits seit geraumer Zeit leben diese Hunde offenbar in einem massiven Stresszustand, welcher sich durch die Tierheim-Atmosphäre nur noch mehr verschlimmert hatte. Der permanent überhöhte Erregungslevel führt zu Unruhe, Anspannung, Aufgeregtheit, Hyperaktivität, verminderter Konzentrationsfähigkeit, mangelnder Impulskontrolle, geringer Frustrationstoleranz, gesteigerter Reaktivität bis hin zu Stereotypien und/oder exzessivem Zwangsverhalten.
Was leider nicht mehr auf dem Video zu sehen ist, weil ich die Kamera weglegen musste, um beide Hände frei zu haben: Nachdem Suri sich mir zugewandt hatte, war sie zunächst irritiert, aber dann steckte sie ihren Kopf unter meinen Arm und ließ sich eine Weile zärtlich von mir knuddeln – das war ein wundervoller Moment:-)
Aufgrund der Aufregung rundum und ihrer eigenen inneren Aufgeregtheit können die Tierheimhunde nicht einmal in Ruhephasen wirklich entspannen. Eben deshalb führte ich vom ersten Tag an sog. „Chill-out“-Momente ein, damit Suri und Kyrill mit der Zeit lernen, aus ihrer ständigen Übererregtheit auch mal runterzufahren (meine Hunde kennen das bestens: wenn ich mich hinsetze und etwas lese oder auch nichts tue, dann ist Ruhezeit – wer will, kann natürlich zu mir kuscheln kommen).
Obwohl sich die beiden Tierheim-Schäfis relativ rasch an unser Ruhe-Ritual gewöhnt hatten und es mit jedem Mal immer lieber annehmen, sind sie dennoch in Alarmstimmung und scannen (wie auch Speedy und Chekotee) in allen Richtungen nach unliebsamen „Überraschungen“ – im Video (unten) ist dies deutlich zu sehen. Kyrill, der als einziger noch länger ruhelos vor dem Zaun steht, schafft es schließlich doch, sich hinzulegen, aber typischerweise direkt vor der Eingangstür. Suri macht ein kurzes nettes „Check-in“ bei Kyrill, trinkt einen Schluck Wasser, kommt dann zurück und legt sich wieder auf den kühlenden Erdboden.
Die vielen „Chill-out“-Wiederholungen wurden bald zu fixen Ritualen unserer Besuchsstunden: die Hunde konnten immer tiefer und länger entspannen, schließlich schliefen sie während der Ruhephasen sogar ein [dazu mehr im nächsten Blogartikel].
Trotzdem Entspannungs- und Ruheübungen einen wesentlichen und auch höchst wertvollen Teil der Arbeit mit Tierheimhunden bilden, steht man immer noch vor einem Berg (oder gar Gebirge) an weiteren Baustellen, v.a. bei solchen Tierheimhunden, die – wie Suri und Kyrill – bereits Verhaltensauffälligkeiten, um nicht zu sagen Verhaltensstörungen zeigen, z.B. Kyrill´s stereotypes „Im-Kreis-Laufen“. Suri wiederum betreibt zwanghaft-exzessives Ballspiel, gepaart mit ebenso zwanghaft-exzessivem Bekauen und Verscharren des Balls (oder jeglichen anderen Spielzeugs, dessen sie habhaft wird). [Zu Stereotypien und Zwangsverhalten mehr im folgenden Blogartikel.]