„TV-Superhunde“ sind KEINE Assistenzhunde

Kritische Anmerkungen zur 2018 im TV gelaufenen Docutainment-Serie „Projekt Superhund“ in SAT 1 …

Offener Brief an die SAT1-Redaktion

Kritische Anmerkungen zur SAT1-Sendereihe PROJEKT SUPERHUND

Grundsätzlich finde ich es gut und wichtig, wenn in den Medien mehr über Menschen mit Behinderung und Assistenzhunde, über Tierschutz und Tierschutzhunde berichtet wird, von mir aus auch im Docutainment-Format. Trotzdem sollte es mit Verstand gemacht sein – doch genau daran mangelt es leider der SAT1-Sendereihe „Projekt Superhund“ …

Selbst schwer körperbehindert, bin ich als Gründerin und Leiterin des gemeinnützigen Vereins „Helping Dogs: Hunde helfen Menschen – Menschen helfen Hunden“ die Erste in ganz Österreich (soweit ich weiß, auch die Einzige), die dezidiert Tierschutzhunde zu Assistenzhunden ausbildet. Außerdem absolvierte ich in Wien (ebenfalls als Erste mit Tierheimhunden) bereits 2010/11 mit meinen beiden heutigen Servicehund-Oldies eine Therapiehundeausbildung und war jahrelang mit ihnen bei Kindern und Jugendlichen in Form hundegestützter Pädagogik tätig. So gesehen bringe ich doch einige Erfahrung in dieser Thematik mit. Als aktive Tierschützerin und Tierrechtlerin ist es mir natürlich ein großes Anliegen, Tierschutzhunden zu einem besseren Leben zu verhelfen, was aber keineswegs heißt, dass jeder Hund aus dem Tierschutz ein „Arbeitshund“ (in diesem Fall Assistenzhund) werden soll, das funktioniert nämlich nicht, denn nur die wenigsten sind dazu tatsächlich geeignet – abgesehen davon ist auch unter den Zucht- bzw. Rassehunden nicht jeder zum „Dog with Job“ prädestiniert! Das macht aber gar nichts, denn es darf auch einfach „nur“ Familienhunde geben!

Hätten Sie sich ernsthaft mit dem Thema Assistenzhunde auseinandergesetzt, wäre diese Sendereihe wohl in der Tat zur sinnvollen Wissensvermittlung geworden. Vielleicht wollten Sie tatsächlich etwas Gutes tun, aber gut gemeint ist eben nicht immer gut gemacht! Offenbar verkennen Sie die Problematik total: „Projekt Superhund“ trägt nicht zur Sensibilisierung für die problematische, ja katastrophale Situation von Tierschutzhunden und schon gar nicht zur Aufklärung über Assistenzhunde bei – im Gegenteil: es werden Familien-, Begleit-, Haushaltshilfe-, Therapie- und Assistenzhunde in einen Topf geworfen und den Leuten wird vorgegaukelt, dass es eigentlich ganz einfach ist, einen Assistenzhund „auszubilden“ (wir nehmen halt so ein armes Hascherl aus dem Tierheim, bringen ihm innerhalb weniger Wochen ein paar „Handgriffe“ bei und fertig ist der „Assistenzhund“)! Dabei dauert eine echte, profunde und nachhaltige Assistenzhundeausbildung aus gutem Grund zwei Jahre (oder noch länger), weil es nämlich nicht nur auf das Lernen von Tricks ankommt, sondern v.a. auf Alltagstauglichkeit, Verlässlichkeit und Souveränität in jeder Situation. Und dafür müssen selbst wesensfeste Hunde sehr, sehr viel üben … wie viel mehr dann erst Tierschutzhunde, die meist nicht von vornherein über ein solch hohes Maß an Umweltsicherheit und Gelassenheit verfügen. Nicht umsonst gibt es (zumindest in Österreich seit 2015) extrem strenge Auswahl- und Prüfungskriterien, die nicht nur dem Schutz des Hundes, sondern auch dem des behinderten Menschen dienen. Sendungen wie „Projekt Superhund“ erschweren die gesellschaftspolitische Bewusstseinsbildungs- und Öffentlichkeitsarbeit, die wir als (größtenteils ehrenamtlich tätige) BehindertenvertreterInnen leisten!

Ich frage mich, warum recherchieren ProgrammleiterInnen nicht, bevor sie etwas drehen? Geben Sie beispielsweise „Assistenzhunde & Tierschutz“ in die Internet-Suchmaschine ein und an erster Stelle erscheint (ohne mich hier in den Vordergrund drängen zu wollen) mein Verein „Helping Dogs“ – zudem gibt es weitere seriöse und kompetente Institutionen, die über langjährige Erfahrung in der Assistenzhundeausbildung verfügen. Insofern hätte man doch vielleicht zuerst bei ExpertInnen nachfragen können! In Österreich existiert immerhin schon seit Anfang 2015 ein bundesweit einheitliches Gesetz zur staatlichen Prüfung für Assistenzhunde – ein solches wird von engagierten Betroffenen auch in Deutschland angestrebt, denn zurzeit ist es dort noch so, dass jeder X-Beliebige seinem Hund ein bedrucktes Mäntelchen umbinden und ihn Assistenzhund nennen darf. Es gibt keine gesetzlichen Regelungen für die Ausbildung und den Verkauf von Assistenzhunden, d.h. jeder kann sich Assistenzhundetrainer nennen und an „oh, diese bedauernswerten Behinderten“ um gutes Geld schlecht geschulte „Assistenzhunde“ (oder eben „Superhunde“) verscherbeln. Doch genau jene minder qualifizierten Hunde bereiten letztlich nicht nur ihren HalterInnen Sorgen (im schlimmsten Fall bringen sie diese sogar in Lebensgefahr!), sondern sie beschädigen mit ihrem unangebrachten Benehmen das Renommee von wirklichen Assistenzhunden (wobei zu betonen ist, dass die Hunde gar nichts dafür können, schuld sind immer die Menschen). Das ist einer der Gründe, warum viele Behinderte trotz echter, gut ausgebildeter Assistenzhunde häufig Missbilligung und Ablehnung erfahren, wenn sie ihre Zutrittsrechte für Geschäfte und andere Gebäude des öffentlichen Lebens wahrnehmen wollen.

HIER hätten Sie im Sinne Ihres Bildungsauftrags ein publikumswirksames Zeichen setzen sollen – damit Menschen mit Behinderung nicht weiterhin ausgegrenzt, ignoriert, belästigt oder gar bedroht werden! Denn diskriminiert, an den Rand bzw. ganz weg geschoben und „vergessen“ zu werden, das prägt unser Alltagsleben als Behinderte: entweder sind wir die „Armutschkerl“, denen man nicht viel zutraut und die man herablassend behandelt (wie es leider die SuperhundetrainerInnen in Ihrer Sendereihe immer und immer wieder völlig ohne jede Empathie tun!) oder wir sind den anderen wegen unserer besonderen Bedürfnisse, die nicht in deren gewohntes Denkschema passen, unangenehm und lästig. Warum thematisieren Sie nicht das?! Ist wohl nicht unterhaltsam, heimelig und gemütlich genug …

Durch die SAT1-Superhund-Sendungen entsteht in der öffentlichen Wahrnehmung ein verzerrtes Bild – das genaue Gegenteil von dem, wofür BehindertenvertreterInnen und TierschützerInnen seit langem kämpfen. Obzwar es vielleicht gar nicht Ihre Intention war, Assistenzhunde zu zeigen, tun Sie dennoch akkurat das: dem Publikum wird vermittelt, wie Hunde Hilfsleistungen für Menschen mit Behinderung, d.h. Assistenzhundeeinsätze erbringen, nachdem diese Hunde – egal ob verstört oder ängstlich – aus dem Tierheim „gerettet“ („Armutschkerl-Hunde“ für „Armutschkerl-Behinderte“) und innerhalb kürzester Zeit zum „Fulltime-Assistent“ gekürt wurden – egal ob sich der Hund tatsächlich dafür eignet oder das Hilfsmaßnahmenpaket bzw. die jeweilige Situation auch für den Hund passt. Denn das ist – v.a. aus Tierschutzgründen – festzuhalten: Ihre beiden SuperhundetrainerInnen zeigen nämlich nicht nur im Umgang mit behinderten Menschen unfassbar wenig Einfühlungsvermögen, sondern sie begegnen vielfach auch den Tierschutzhunden völlig respektlos, indem sie immer wieder deren (Individual-)Grenzen überschreiten und deren Calming Signals missachten, weil sie offenbar nicht imstande (oder nicht willens) sind, die Hunde-Körpersprache zu beachten. Gerade bei Tierschutzhunden bedarf es viel, viel mehr an Behutsamkeit (wozu übrigens auch der modulierte Einsatz der menschlichen Stimme zählt), um die Tiere nicht zu überfordern und damit erst recht in Stress zu versetzen. Dies scheint den TrainerInnen hingegen nicht geläufig zu sein – Hauptsache, die Hunde „funktionieren“ irgendwie! Doch ein Assistenzhund (sei er nun mehr oder weniger gut ausgebildet) ist weder ein „Bediensteter“ noch ein Hilfsmittel wie ein Rollstuhl oder Rollator, das man, wenn man es nicht braucht, zur Seite stellt, sondern ein fühlendes und denkendes Lebewesen, welches man mit Zuneigung, Verständnis, Achtung und Respekt zu behandeln hat, denn nur auf dieser Basis kann sich eine für beide Seiten wertvolle Beziehung entwickeln.

Natürlich ist es wunderbar, wenn Tierschutzhunde ein neues Zuhause bekommen, aber ein echter Fortschritt wäre, wenn erst gar nicht so viele Hunde im Tierheim landen würden! Außerdem ist Tierschutz nicht gleich Tierschutz, denn all die sogenannten „TierschützerInnen“, die nur durch ihre Gefühle für die „ach so armen Tiere“ motiviert sind (also bloß emotionalen Tierschutz ohne Hirn und Verstand betreiben), machen erfahrungsgemäß häufig mehr kaputt an den Tieren als sie ihnen Gutes tun – ohne fundiertes Wissen um Entwicklungsphasen, Kommunikation, Verhalten etc. ist wirklich hilfreicher, eben wissenschaftsbasierter Tierschutz nicht möglich. Natürlich gehört das Herz mit dazu, aber Mitgefühl allein ist zu wenig: Tierliebe macht noch keinen Tierschutz aus – ein Herz für Tiere zu haben, einfühlsam, fürsorglich und geduldig zu sein, das sind notwendige Voraussetzungen. Aber erst in Kombination mit Fachwissen entsteht daraus kompetenter Tierschutz.

Hingegen niveaulose TV-Hundesendungen, die veraltete, gar gewalttätige Erziehungsmethoden und unqualifizierte TrainerInnen zur Schau stellen, gibt es ja zuhauf – solche „Docutainments“ werden medienwirksam vermarktet, um möglichst hohe Einschaltquoten zu generieren. Leider halten viele Leute das, was sie im „Fun-TV“ sehen, für der Weisheit letzten Schluss, weil sie sonst nichts anderes kennen, z.B. wissenschaftliche Bücher oder Dokumentarfilme, um sich echtes Wissen anzueignen (tja, das ist auch nicht so bequem wie vor der Glotze zu lümmeln)! Eben daher kommt es, dass immer noch unglaublich viele Leute denken, man müsse einen Hund „abrichten“, ihm die „Dominanz austreiben“, sein „Rudelführer“ sein und all die anderen haarsträubenden, sogar brutalen vorgestrigen Anschauungen zum Thema Hundeerziehung!

Ich denke, DA müssten wir, müsste das Fernsehen ansetzen: Aufklärung, Aufklärung und wieder Aufklärung! Ach, was könnten Sie nicht alles tun bei der Reichweite, die ein Sender wie SAT 1 hat!

In Deutschland wäre es wichtig, ein Bundesgesetz à la Österreich zu implementieren, das standardisierte Richtlinien für die Auswahl, Ausbildung und Prüfung von Assistenzhunden festlegt. Solange kein allgemeingültiger Kriterienkatalog und keine staatliche Prüfung existiert, wird es in der deutschen Assistenzhundeszene weiterhin unredliche Geschäftemacherei und betrügerische Kundenfängerei geben … und v.a. selbsternannte, mangelhaft ausgebildete „Assistenzhunde“ bzw. „Superhunde“! Sind Sie von SAT 1 denn stolz darauf, solch ein System auch noch zu fördern?!

Behinderte Menschen (mit oder ohne Assistenzhunde) und ihre Interessenvertretungen, Tierschutzverbände und Tierethikkommissionen … wir alle treten unermüdlich für eine Verbesserung der Lebensqualität ein – bei Mensch und Tier. Leider haben wir nur allzu oft das Gefühl, gegen Windmühlen zu kämpfen …

Schließen Sie sich doch diesen Engagements an und helfen Sie so mit, die Welt ein Stückchen besser zu machen!

© Mirjam Silber 2018

Autor: Mirjam Silber

Zertifizierte Kynologin, Canidenforscherin (Schwerpunkt Hunde und Wölfe), Assistenzhundetrainerin und Expertin für Hunde mit (deprivationsbedingten) Ängsten, Natur- und Artenschützerin, Sprecherin des Landesarbeitskreises "Wolf und Herdenschutz" beim BUND Brandenburg, Mitwirkende im Wolfsmonitoring, Mitglied bei Alnus e.V. (Moor-AG), Studentin an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE), Mitarbeiterin bei Palanca e.V.

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